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Hochflue

Hochflue "Plattentanz" 7b+, 5 SL
Direkt über dem Dorf Gurtnellen ist ein markanter Plattenpanzer sichtbar, über den bereits 1985 eine wilde Route eröffnet wurde. Nach zwei schweren Unfällen durch weite Stürze, darunter ein Beckenbruch, wurde die Tour inskünftig gemieden und geriet so in Vergessenheit. Vor gut 10 Jahren setzte Alex Arnold, einer der damaligen Erstbegeher, neue Bohrhaken in die Linie und entschärfte die gefährlichen Passagen. So sind in der ersten Seillänge, die ursprünglich mit zwei Ringbohrhaken ausgrüstet war, nun deren 10 Silberlinge zu finden. Die Route "Plattentanz" wurde damit wieder vernünftig realisierbar, ein Ansturm blieb aber weiterhin aus.

So ganz nachvollziehen kann ich dieses stiefmütterliche Dasein nicht: 1. Die Route ist problemlos zugänglich und kann schon sehr früh im Jahr begangen werden. 2. Der Fels ist perfekt und der rauhe, körnige Granit bietet eine hervorragende Adhesion. 3. Die Kletterei ist alles andere als eine banale Reibungskletterei. Vielmehr dominiert Leistenkletterei und die vielen Querschlitze und Schuppen eröffnen ein grosses Griffrepertoire. Würde diese Route in der Grimselregion liegen, wäre sie bestimmt ein Klassiker. Was vielleicht potentielle Wiederholer von einer Begehung abschreckt, ist die knallharte Schlüsselstelle der dritten Seillänge. Diese glatte Passage kann aber gemütlich mit dreimal ziehen an den eng steckenden Bohrhaken überwunden werden.

An einem wettermässig eher durchzogenen Mittwochabend wussten Stine und ich nicht so recht, wohin wir zum klettern fahren wollten. Da es im Urner Oberland föhnbedingt eher besser aussah, fiel der spontane Entscheid auf die Hochflue. Etwas Sorgen machte uns das knapp bemessene Zeitpolster, da wir erst um 17.30 Uhr losfahren konnten. Vorsorglich packte ich eine Stirnlampe in den Rucksack. Abseilen konnte man sowieso jederzeit und von jedem Standplatz aus. So parkierten wir beim Restaurant Feld in Gurtnellen Dorf und wanderten zügig ins Gornertal hinein. Punkt 18.30 Uhr erreichten wir den Einstieg, der sich wegen den Regenfällen der vergangenen Tage leider etwas "muudrig" präsentierte.

Wie befürchtet, waren die ersten Meter sehr unangenehm und feucht zu klettern. Nach wenigen heiklen Kletterzügen aber war der Fels trocken und rauh - der Spass begann! Als krönender Abschluss dieser interessanten Länge wartet ein Hangelquergang, der dank der Sanierung nun ohne Herzklopfen zu meistern ist. In der zweiten Länge ist Slalomklettern angesagt. Die Felstrukturen weisen hier mal links, dann wieder rechts, aber stets eindeutig den weiteren Weg. Eine versteckte Sanduhr mit Fixschlinge kommt auf halber Strecke völlig überraschend zum Vorschein. Zum Schluss quert man auf einem breiten Band weit nach links und erreicht rechtshaltend wieder den bequemen Stand.

Die dritte Seillänge startet mit einem harten Boulderzug und einer nachfolgenden glatten Plattenstelle. Dann weisen wieder bessere Strukturen und eine Untergriffschuppe den Weg zur noch glätteren Schlüsselstelle. Feinste Granitwürfel, Minileisten und kaum sichtbare Dellen stehen hier als einzige Haltepunkte zur Verfügung. Nach dieser wirklich harten Passage über drei eng steckenden Bohrhaken hinweg, gewinnt man die erlösende Leiste und steht schon bald beim nächsten Stand. Der hier ansetzende, schräg aufwärts verlaufende Finger- und Handriss ist wieder gemütlich zu klettern und führt auf ein breites, mit Bäumen durchsetztes Grasband. Zum Stand hoch geht es nochmals über eine kurze Reibungsplatte, die aber gut machbar ist.

Die Schlusslänge verlangt wieder etwas Feingefühl und bietet ein paar höchst interessante Griffkombinationen. In der Zwischenzeit hatte der Föhn markant zugelegt und schüttelte uns mächtig hin und her. Bei dieser Art von Kletterei kann man da von einer starken Böe schnell aus dem Tritt geworfen werden. Die durch den starken Wind verursachte Kälte machte uns zusätzlich mehr und mehr zu schaffen. So waren wir heilfroh, endlich beim Wandbuch oben zu sein und fädelten rasch die Seile in den Abseilring. Da wir befürchteten, der sturmartige Wind schleudere beim Abziehen die Seile in die vereinzelt vorhandenen Föhren, nutzten wir beim Abseilen ausnahmslos jeden Stand. Bei normalen Bedingungen kann man die vierte, kurze Länge überspringen.

Am Wandfuss waren wir glücklicherweise vor dem unbarmherzigen Wind wieder etwas geschützt. So konnte auch endlich nach langer Zeit zur Schnupfdose gegriffen werden. Mit dem letzten Tageslicht erreichten wir wieder Gurtnellen Dorf, wo im Restaurant Bergheim ein verlockendes Licht brannte. Ach, wie gut schmeckte das erste Wirtshaus-Bier nach der Coronapause! Vielen Dank an Stine für die verwegene und windgepeitschte Aktion. Trotz Bibern im kalten Wind war das ganze eine höchst gelungene Abendkletterei!