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Grimsel "Savoir Vivre"

Grimsel "Savoir Vivre", 6c+, 14 SL
Die markante Gelmerfluh über dem Parkplatz "Chüenzentennlen" an der Grimselpassstrasse wurde vor ein paar Jahren mit der neuen Route "Sagittarius" aus ihrem Dornröschenschlaf geweckt. Seither steigen jährlich viele Seilschaften durch diese bestens abgesicherte Route, was mitunter sogar zu Warteschlangen führen kann. Noch lange Zeit vor der „Sagittarius“ waren bereits die Deutschen Bodensee-Kletterer Heinrich, Scharl und Boison in der Wand unterwegs. Mit mobilen Sicherungsgeräten und dem Einsatz weniger Bohrhaken mühten sie sich über endlos lange Plattenfluchten und einige Riss-Reihen die Wand empor. Die Erstbegehung der „Savoir Vivre“ war damals eine große Leistung, der Anstieg hatte aufgrund des abenteuerlichen Anspruchs jedoch nur wenige Wiederholungen zu verbuchen.

Im Sommer 2018 widmeten sich schließlich Christina Schmid und Sandro von Känel dieser in Vergessenheit geratenen Linie. Die Tour wurde mit sehr viel Aufwand komplett saniert, störende Botanik entfernt und mit einer teilweise neuen Routenführung versehen. Das „Team Filidor“ verpasste der ursprünglich kaum nachvollziehbaren Linie ein neues Gesicht und reihte durch den üppigen Einsatz von Bohrhaken die besten Klettermeter aneinander. Der Zustieg und der Einstiegsort sind mit der "Sagittarius" identisch. Gemäss dem Topo auf filidor.ch sehen die insgesamt 14 Seillängen sehr vielversprechend aus. Grund genug für Beat und mich, der Gelmerfluh wieder einmal die Aufwartung zu machen.

Bei drückender Junihitze mit Werten bis 37°C fuhren wir erst nach dem Mittag in Schattdorf los, düsten über den Sustenpass und standen um 14.30 Uhr schweissgebadet am Einstieg der "Savoir Vivre". Hoch über uns tummelten sich noch ein paar Seilschaften in den Felsen, die meisten in der "Sagittarius", eine Partie war in der "Savoir Vivre" erkennbar. Rasch legten wir los und kamen in den ersten Plattenseillängen zügig voran. Überrascht von der mehr als üppigen Absicherung, klinkten wir meistens nur jeden zweiten Bohrhaken. Die eher glatten Plattenpassagen sind immer wieder mit Verschneidungen, Rissen und kleinen Aufschwüngen gespickt. So wird die Kletterei garantiert nie eintönig.

Wie gewohnt ist der Gletscherschliff-Granit schwach strukturiert und verlangt gute Konzentration. In den einfachen Riss- und Verschneidungspartien konnten wir aber wieder ungehemmt Gas geben. In der 7. Seillänge umgeht man die markante "Walflosse" rechts, quert dann etwas knifflig links rüber und erreicht dank zwei grossen, kreisrunden Löchern in der kompakten Platte den nächsten Stand. Ein Bestandteil dieser Länge ist der sogenannte "Hasli-Swing", ein kurzer Pendelquergang an die "Walflosse", der frei geklettert mit 6c+ die schwierigste Stelle der Route darstellt. Der Rest der "Savoir Vivre" ist deutllich einfacher, nirgends schwerer als 6b und mit dem Griff zum "Silberling" mit einem obligatorischen 6a gut machbar.

Nach der "Walflosse" folgt eine weitere, herrlich zu kletternde Seillänge: der "Nielscrack". Nun nimmt die Steilheit der Wand zu, dafür ist das Griff- und Trittangebot deutlich üppiger. Als "Kristallwand" wird die 10. Seillänge betitelt, die fast komplett über eine massive Quarzader verläuft und sich unverschämt griffig präsentiert. Der Weg über die restlichen vier Seillängen ist dank zahlreicher Bohrhaken einfach zu finden. Die vertikal geschichteten Gesteinsformationen verlangen aber auch hier, obwohl nur mit maximal 5c bewertet, Konzentration und ein gutes Auge für das Griffangebot. In der letzten Seillänge holten wir die vor uns kletternde Partie ein, die bereits um 9.00 Uhr, also fünfeinhalb Stunden vor uns, eingestiegen war.

Wir fädelten umgehend die Seile in den Abseilring und liessen uns an den farbigen Stricken heruntergleiten. Im unteren Teil kann man mit 50 Meter-Seilen meistens zwei Längen zusammenfassen. Über die Plattenschüsse gleiten die Seile eh wie geschmiert. So standen wir um 17.30 Uhr, nach genau drei Stunden, wieder am Einstieg und kühlten unsere Füsse im kleinen Bächlein direkt neben dem Materialdepot. Was für eine Wohltat, trotz des eher lauwarmen Wassers. Richtig regenerierten wir uns dann schliesslich im Hotel Handeck bei einem kalten "Most" und herrlich süssen "Meiringer Meringue".

Die neue Route "Savoir Vivre" hat das Zeug zu einem echten Klassiker! Sie gefiel Beat und mir deutlich besser als "Sagittarius". Die abwechslungsreiche Kletterei, die ansprechende Länge und die üppige Ausrüstung werden wohl viele Wiederholungen generieren. Besten Dank an die kühnen Erstbegeher, an das fleissige Sanierungsteam und natürlich an Beat für den unvergesslichen Kletternachmittag im Urgestein!

Das Topo der "Savoir Vivre" (Copyright by filidor.ch).

Auch rechts der "Savoir Vivre" scheint sich etwas getan zu haben... Wohl eine neue Route? Wer weiss mehr?