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Gandschijen S-Pfeiler

Gandschijen S-Pfeiler, 6c, 8 SL
"Scheiss-Platte! Ich hänge an den Fingern im Gandschijen Südpfeiler. Kleine Bächlein rinnen über die senkrechte Wand. Wenn man einen Griff packt, fliesst das Wasser in de Ärmel hinein. Für die 1. Seillänge brauchen wir eine Stunde. So hat das keinen Sinn. Wir seilen ab. Auch das Wetter wird schlechter. Heute ist alles gegen uns; aber wir kommen wieder..."
Diese Zeilen schrieb ich am 10. Mai 1981, wenige Tage vor meinem 15. Geburtstag, in mein Tourenbuch. Zusammen mit meinem Bruder Kurt und unserem Cousin Dani Gamma scheiterten wir kläglich an unserem hoch gesteckten Ziel.

Das eklige Schmelzwasser von oben und die steifen Bergschuhe mit integrierter Stahlsohle waren keine optimalen Voraussetzungen für diese Tour. Es mangelte aber auch an Selbstvertrauen und Zuversicht: Zu gross war für uns Jungspunde der Respekt vor dieser Tour. Mit eingezogenem Kopf besuchten wir danach noch das Gasthaus Mattli, wo uns der legendäre Konrad humorvoll auf die Schippe nahm und damit tief in den Wunden der schmerzlichen Niederlage wühlte. Am 18. August des gleichen Jahres wetzten mein Bruder und ich die Scharte aus und kletterten ohne nennenswerte Probleme durch die imposante Route. Unser damaliges Erfolgsrezept: Wir hatten uns in der Zwischenzeit moderne, profillose Kletterfinken angeschafft und waren die ganzen Sommerferien unterwegs im Granit der Göscheneralp gewesen.

Die Erinnerungen an unseren ersten Versuch am Gandschijen Südpfeiler sind mir sehr präsent, als wir am Freitag nach Fronleichnam vom Gwüest via Börtli zum Spitzenstein aufsteigen. Neben meinem Bruder, der ebenfalls nostalgisch angehaucht von unseren ersten Versuchen an dieser Wand erzählt, ist auch Stine mit von der Partie. Für sie ist es das erste Mal, dass sie zum Wandfuss hochsteigt und am Gandschijen klettern wird. Schon beim Spitzenstein, einem weit ins Leere hinausragenden Granitblock, erkennen wir die vielen Unheil verheissenden Wasserstreifen, die im zentralen Wandbereich über die Granitplatten verlaufen. Der Originaleinstieg des Südpfeilers ist komplett getränkt von Schmelzwasser. Wir wissen aber, dass seit 2013 eine direkte, von Ruedi Bunschi eingebohrte, Einstiegsvariante existiert, die komplett trocken scheint.

Beim letzten, einigermassen ebenen Fleck unter dem Einstieg entledigen wir uns der Bergschuhe und schlüpfen in die Finken und den Klettergurt. Da weit und breit keine Geissen sicht-, hör- und riechbar sind, deponieren wir dort auch unsere Rucksäcke. Sollten die lustigen Tiere aber in der Gegend sein, empfiehlt es sich, die Säcke an den ersten Bohrhaken zu hängen (siehe auch folgenden Bericht einer unangenehmen Begegnung mit den gehörnten Viechern). Die direkte Einstiegsvariante verlangt gleich auf den ersten Metern einen heiklen Aufsteher, der Rest ist dann gemütliche, gut gesicherte Schuppenkletterei bis zum Stand am Beginn der markanten Verschneidung (30 m, 6b).

Der Weiterweg in der zweiten Länge folgt der linksseitigen, fetten Piazschuppe. Rechts an der kleineren Piazkante mit den rostigen Schrauben verläuft die Route "Börtlergrind", die wir 1992 von der Basis her eröffnet hatten. Nach wenigen Metern in der grossen Verschneidung macht sich unangenehme Feuchtigkeit im Riss bemerkbar. Ich bin froh, kann ich hier noch einen zusätzlichen, perfekt sitzenden Camalot versenken und diese unangenehme Passage stressfrei durchsteigen. Der zweite Teil dieser Verschneidungslänge ist dann gutmütig zu klettern, bevor sich kurz vor dem Stand die kleine Rechtsschlaufe erneut wasserüberronnen präsentiert. Auch hier beruhigt ein problemlos zu setzender Camalot die Nerven und lässt mich mit tiefem Adrenalinspiegel passieren (40 m, 6a).

Der Start in die dritte Seiilänge ist luftig, aber gut gesichert. Das folgende Verschneidungsstück überwinde ich mit dem Rücken zur Verschneidungswand und malträtiere dabei meinen Magnesiabeutel in gnadenloser Manier. Knifflig und fast grifflos erweisen sich die wenigen kackigen Meter der linken Umgehungsvariante. Eigentlich folgt man hier besser der grossen Schuppe, an der ebenfalls ein paar Bohrhaken stecken und zusätzlich noch mobil abgesichert werden kann. Der Stand selber ist sehr bequem und mit einem Muniring plus Bohrhaken bestückt (40m, 6c, entlang der Schuppe 6a).

Die erste Hälfte der vierten Sequenz folgt einer gut gesicherten Piazschuppe. Ein dickes Graspolster mit Trittstufen leitet dann nach links auf ein bequemes Band. Hier setzt die nach rechts ansteigende Riss-Verschneidung an, die gar nicht so einfach zu meistern ist. Über das erreichte Felsband geht's ebenaus wenige Meter nach rechts zum nächsten Muniring (30m, 5c). Just über dem Stand stecken in einer Linie vier Bohrhaken. Sie suggerieren eine direkte Linie durch die seichte Verschneidung. Da aber in den vergangenen Jahren diverse Felsschuppen ausgebrochen sind, ist der einfachere Weg etwas links davon zu finden. Das Problem dabei: Der zweite Bohrhaken lässt sich so nicht einhängen und beim wackligen Quergang nach rechts oben droht ein böser Fall auf das Standplatz-Felsband. Wer hier auf Nummer sicher gehen will, klettert A0 durch oder hängt den zweiten Bohrhaken vorgängig ein und probiert so den freien Durchstieg ab dem Band. Meinerseits stehe ich schon zu weit oben, als ich dies realisiere und muss den zweiten Bohrhaken daher auslassen. Der Puls senkt sich erst wieder nach dem Klinken des dritten Longlife-Haken. Die originelle Querung nach links und die griffige Schlusswand zum Stand hoch, lassen diesen heiklen Moment rasch wieder in Vergessenheit geraten (40m, 6b).

Links blinken die Bohrhaken im Überhang der Originallinie (7b+ oder A0). Direkt hoch vom Stand führt eine weniger schwierige, aber trotzdem athletische Variante mit anschliessendem Plattentanz auf das bequeme Band hoch. Die entscheidende Piazschuppe auf der linken Seite der Kante hat schon deutliche Abnützungsungserscheinungen und fühlt sich ungewohnt speckig an (20m, 6b). In einer grossen Links-Rechtsschlaufe klettert man in der siebten Länge bis zur Kante hinaus und quert dann wieder entlang von Schuppen zurück zum Stand hinter einer grossen, abgespaltenen Felsplatte. (35m, 5b). Vom Stand wieder nach links und direkt hoch auf das üppige Graspolster. Die folgende Schlusswand ist clean und schluckt gutmütig die passenden Camalots (40m, 5b).

Nach knapp drei Stunden Kletterei fädeln wir die Seile in den Abseilring und gleiten in sieben Manövern zurück zum Wandfuss. Da alle anderen Routen immer noch triefend nass sind, geniessen wir ein verspätetes Mittagessen und steigen gemütlich ab ins Gwüest. Da der Tag noch relativ jung ist, wechseln wir zur Sandbalmfluh und gönnen uns dort die Durchsteigung der "Bijou". Es war extrem bereichernd, wieder einmal am Gandschijen zu klettern und in alten Erinnerungen zu schwelgen. Besten Dank an Stine und Kurt für die unterhalsamen Stunden im tollen Granit der Göscheneralp.