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Iragna / Osogna

Parete Val d'Iragna "Baci dal Nord" (Versuch)
Osogna, 3 MSL-Routen, 6c+, 7c, 7b, total 9 SL

Das Ziel des heutigen Klettertags war unmissverständlich die neue Route "Baci dal Nord" an der Parete Val d'Iragna. Bereits auf der Fahrt durch die Leventina kamen aber erste Zweifel auf. Alle Wände links und rechts waren triefend nass und glänzten vor lauter Feuchtigkeit. Auf dem Strässchen hoch zum Weiler Citto rauschten die Wildbäche und an den bergseitigen Wiesenbords drückte munter Wasser hinaus.

Beim Weiler Citto wurde wir wieder etwas optimistischer. In der angepeilten Wand waren zwar Wasserstreifen erkennbar, aber wir schätzten von fern den Routenverlauf als trocken ein. Leider blieb der Feldstecher zu Hause - damit hätten wir wohl einen besseren Gesamteindruck erhalten. So stiegen wir frohen Mutes weiter, überquerten den rauschenden Bach und wurden auf den folgenden Querbändern, über die der Weg führt, zwei Mal heftigst geduscht. Als wir dann direkt am Einstieg oben standen, war uns schnell klar, dass dieser Aufstieg "für die Katze" war.

Bereits schon die Startverschneidung war fast komplett nass und über die folgende Schlüsselseillänge tropfte es wie aus einem Wasserhhahn. Als Plan B wollten wir die benachbarte Route "My Darling" anpacken. Aber auch hier war fast die ganze Startlänge triefend nass. So war an diesem Fels heute wirklich kein Blumentopf zu gewinnen!

Noch einen Schnupf in die Nase ziehen, dann rechts um kehrt und zurück auf Feld 1. Der andauernde, tagelange Niederschlag im Süden wurde wohl von der Vegetation wie ein Schwamm aufgesogen und nun langsam wieder über all die schönen Felswände ausgepresst. Alternativen waren nun gefragt. Bei der Rückfahrt fiel unser Blick auf die Felsbuckel über Osogna, die uns einigermassen trocken schienen. Somit stand das zweite Ziel des Tages fest:

Als wir die liebliche Lagune unter dem MSL-Klettergarten Osogna erreichten, waren zwar noch vereinzelte Wasserstreifen erkennbar, aber hier konnten wir sicher schöpferisch tätig werden. Als Einstiegstour empfahl ich Nico die Route "N° 1" (6c+), eine meiner zahlreichen Tessiner Erstbegehungen, die wirklich schöne Kletterzüge verspricht. Die ersten nassen Meter waren dank der guten Absicherung vertretbar, der Rest schien wunderbar trocken.

So stieg mein voll motivierter Kletterpartner Nico, ein junger Bergführeraspirant, schon bald die erste Länge hoch. Sie führt über einen steilen Pfeiler und kann dank einem Riss und Griffen an der Kante gut gemeistert werden. Mir wurde die zweite Länge, eine klassische Rissverschneidung zugesprochen, die ich mit grossem Genuss gerne vorstieg.

Nun wartete noch die letzte Länge auf Nico, eine stumpfe und glatte Verschneidung, die etwas Beweglichkeit und Technik verlangt. Halb oben kam Nico's flüssiger Kletterstil plötzlich ins Stocken. Da ringelte sich doch tätsächlich auf dem besten Griff der ganzen Seillänge eine Schlange und genoss ein wärmendes Sonnenbad. Etwas ausweichend kam Nico an dieser unerwarteten Schlüsselstelle vorbei und liess mich schon bald nachfolgen.

Respektvoll näherte ich mich dem Schlangennest, konnte aber kein Reptil mehr erblicken. Auch ein vorsichtiger Blick in das tiefe Loch liess nichts erkennen. Mir war das mehr als recht und ich stieg rasch an der Stelle vorbei. Beim Stand diskutierten wir, wie diese Schlange wohl überhaupt an diesen ausgesetzten Platz gelangen konnte und staunten über diese seltsame Begegnung.

Rasch erreichten wir abseilend den Wandfuss und rüsteten uns für die zweite Route, die als "Visitors" (7c) im Führer gelistet wird. Die Schlüsselstelle, eine arschglatte, steile Platte ist zum Glück sehr gut gesichert, verlangt aber eine perfekte Stehtechnik und ein paar harte Züge an seichten Mulden. Auch der Rest ist nicht trivial und fordert immer wieder Konzentration und sauberers Antreten.

Als Plattenspezialist durfte ich alle drei Seillängen führen und mich in diesem Meer aus Gneis so richtig austoben. Auf diesen kompakten und steilen Passagen mussten wir nun wirklich keine Angst mehr vor Schlangen haben, dafür Stand der Kampf gegen das Wegrutschen eindeutig im Vordergrund. Schlussendlich erreichten wir wieder den Felskopf am Ausstieg, wo rasch wieder die Abseilfahrt begann. Beim Runtergleiten erspähten wir links von uns eine weitere, vielversprechende Linie, die gemäss meinem alten SAC-Führer eine 7a+ und eine 6c-Länge aufweist. Warum nicht, sagten wir uns, und schon packte Nico erneut das scharfe Seilende.

Der Start verläuft dank einer herrlichen Schuppe noch gemässigt, dann aber sind kurz unter dem unbequemen Hängestand ein paar knifflige Boulderzüge und feine Hinsteher verlangt. Die Bewertung mit 7a/7a+ könnte da durchaus stimmen. Nun stand also noch die 6c-Länge auf der Agenda, die vom Stand aus betrachtet aber zeimlich steil und grifflos erschien. Bereits das Wegklettern vom Stand war deutlich schwerer als die Startlänge, weiter oben folgten noch mehr knifflige Passagen und Kreuzzüge an feinsten Schuppen und seichten Dellen. Das war nun deutlich schwerer als 6c! Erst in der dritten Länge schien die Bewertung wieder zu passen.

Zuhause löste sich dann das Rätsel: In der neuen Ausgabe des SAC Kletterführers wies die Route "Un altra giro di giostra" (Noch eine Runde Karussell) dann plötzlich 3 Seillängen auf und die mittlere davon war mit 7b bewertet. Das war schon eher passend...
Zurück am Wandfuss wechselten wir gerne von den engen Kletterpatschen in die bequemen Laufschuhe und machten uns gemütlich auf den Heimweg. Vielen Dank an Nico für den erlebnisreichen Klettertag. Das ursprünglich anvisierte Ziel behalten wir im Auge! Auf ein weiteres im Tessiner Gneis!