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Feldschijen

Feldschijen Turm 3 «Westgrat», 6b, 15 SL
Diesen bezaubernden Grat durfte ich vor 41 Jahren zusammen mit meinem Bruder erstmals überklettern. Als 15- und 18-jährige Jungspunde noch relativ unerfahren, dafür vorbildlich bewehrt mit stahlplatten-verstärkten Bergschuhen, entwickelte sich daraus ein echter Kampf. Viel zu früh standen wir am Einstieg oben und klapperten mit unseren «Milchzähnen» um die Wette. Mein Bruder trug – beeinflusst durch die amerikanische Kletterszene – ein zeitlos modisches Stirnband, meinerseits war ich etwas rustikaler unterwegs und trug unter dem Helm eine wärmende Kappe. Selbstverständlich schleppten wir auch den Rucksack über den Grat, trugen überdimensionierte Hexentrics am Brustgurt und waren stolze Besitzer eines Klemmkeil-Sets. Für die neumodischen «Friends» (Camalots gab es damals noch nicht) reichte unser schmales Sackgeld nicht, aber dafür wussten wir, wie man Knotenschlingen einsetzt.

Während der Anfahrt in die Göscheneralp schwelgen wir in Erinnerung an diese damalige Tour, die ich später voller Stolz und fein säuberlich in mein Tourenbuch eintrug. Heute ist unser Gepäck markant leichter, die Seile nur noch halb so dünn und der bunte Satz Ultralight-Camalots wiegt gesamthaft nur wenig mehr als unser grösster, damalige Hexentric. Die spürbarste Erleichterung orten wir aber eindeutig beim Schuhwerk. Die leichten, profillosen Kletterfinken erlauben heute ein elegantes Stehen an Stellen, wo wir mit den harten Vibram-Sohlen nur Kratzspuren hinterlassen hätten. Für den steilen Zustieg wählen wir trotzdem ein Paar feste Bergschuhe, tragen aber zusätzlich noch ein paar Turnschuhe mit hoch, die uns für den Fussabstieg zurück zum Einstieg dienen sollen.

Auf der langen Staudamm-Krone wandernd, staunen wir über den markanten Schwund der Altschneefelder. Vor 5 Wochen – anlässlich einem Klettergarten-Besuch in der Göscheneralp – konnten wir noch Tourenfahrer am Lochberg beobachten. Nun ist es weit hinauf ins Älpergenseeli und am Runden Firn aper. Wir fädeln in den Seeweg zur Dammahütte ein und verlassen diesen nach der ersten Bachquerung. Ein steiles Strahlner-Weglein zieht direkt zum Feldschijen Turm 1 hoch. Plötzlich erblicken wir am anvisierten Westgrat des dritten Turms einen Kletterer im Hohllicht. «Die sind so früh unterwegs, wie wir damals» geht es mir durch den Kopf. Eine Stunde später biegen wir um die in groben Blöcken fussende Kante des Westgrats und erblicken zu unserem Erstaunen eine weitere Seilschaft am Einstieg. Beim Näherkommen erkennen wir mit Moniq eine gute Bekannte, ihr Seilpartner Franz ist bereits schon unterwegs zur Gratkante.

Gemütlich wechseln wir das Schuhwerk, gurten uns an und hängen das benötigte Material an die Gurtschlaufen. Bei den mitgebrachten Turnschuhen zögern wir und lassen sie am Einstieg zurück. Da die Abstiegsrinne bereits schneefrei ist, sollte der kurze Weg zurück auch mit Kletterfinken machbar sein. Wir sollten diese «hirnlose» Idee drei Stunden später mit schmerzenden Zehen bitter bereuen! Kurt folgt Moniq mit etwas Abstand in die erste Länge und entschwindet zum Grat hoch. Ich bin froh, kann ich ebenfalls bald starten, da der kühle Bergwind für leichtes Frösteln sorgt.

Die erste Länge ist wunderbar griffig, besitzt ein paar angerostete Bohrhaken und kann problemlos zusätzlich mit mobilen Sicherungsmitteln ergänzt werden. Länge 2 und 3 «fressen» ebenfalls dankbar die Cams, da und dort steckt auch wieder ein altes Relikt von der Erstbegehung aus dem Jahre 1949. Am dritten Stand lassen Moniq und Franz uns freundlicherweise passieren. Voller Genuss hangeln wir die griffigen Schuppen hoch und sind dankbar für die inzwischen präsenten Sonnenstrahlen. Nach zwei flachen Querungen kommen wir dem ersten, steilen Grataufschwung immer näher. Hier treffen wir auf die früh eingestiegene Seilschaft und erkennen ebenfalls alte Bekannte. Nino und Elio graben an dieser Stelle eifrig nach verborgenen Kristallen. Wir freuen uns über dieses unverhoffte Treffen und wünschen den beiden viel Erfolg. Wenig später beenden die zwei ihre Grabungen und widmen sich wieder der Kletterei.

Nun darf Kurt die wohl beste Länge der ganzen Tour vorsteigen. Ein scharf geschnittener Grat erlaubt ein luftiges Emporhangeln. Nur kurz, dafür aber zwingend, muss man rechts über die feine Platte die Kante freigeben um bald danach wieder das scharfe Teil packen zu dürfen. Eine wirklich geniale Passage, die den alten Original-Überhang in der Westwand sehr lohnend umgeht. Der Grat wird wieder deutlich flacher und damit auch einfacher. Bald aber steht man vor einem weiteren steilen Zahn, der sich eindrücklich in die Höhe schwingt. Hier wartet mit 6b die nominelle Schlüsselstelle, die aber auch mit 3 x «Stoff- oder Metallgriff» ermogelt werden könnte.

Kurt führt auch diese Länge und muss weiter oben einen beängstigenden Run-Out hinlegen. Man könnte nach den ersten, eng steckenden Haken wunderbar und ausreichend Mobiles legen, aber alle dafür nötigen Teile hängen an meinem Gurtzeug. Ja, man wird im Alter tatsächlich ein bisschen vergesslicher… Nach diesem Intermezzo folgen noch drei sehr genussvolle Längen inkl. Gipfeltunnel. Beim Westportal dieses Durchschlupfs hängt an prominenter Stelle die Gamelle für das Gipfelbuch, in das wir uns natürlich auch verewigen. Nach der Tunnelquerung steigen wir gut fünfzig Meter ostwärts ab und finden auf Anhieb die Abseilstelle wenige Meter unter den zwei Steinmännern in der Südwand. Mit 1 x 25 Metern Abseilen stehen wir schon bald in der Scharte unten, wo unser Leidensweg in den Finken beginnt. Trotz jammernden Zehen erreichen wir 3:45 Stunden nach Aufbruch wieder unsere deponierten Rucksäcke und die unbenutzten Turnschuhe!!!

Jetzt schlüpfen wir aber direkt in die Bergschuhe, dislozieren auf die grosse Moräne und beobachten bei einem verdienten Zabig die zwei anderen Seilschaften am Grat. Ein erholsames Nickerchen, ein paar Prisen Schnupf und viele Ausblicke später, machen wir uns auf den langen Abstieg via dem blau-weiss markierten Bergweg von der Lochberglücke und sind froh, als wir endlich über die Dammkrone in Richtung Weissbier marschieren. Besten Dank an mein Bruderherz für den ausgezeichneten Tourenvorschlag und die stets gut harmonierende Kletterei an einem der schönsten Granitgrate im Urnerland. So macht es einfach Spass!