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Selezerfluh

Selezerfluh "Potentilla", 6b+, 6 SL
Selezerfluh "Altwybersummer" 6a, 8 SL
Selezerfluh "No Name" 6a, 1 SL

Von der Alp Gand und seinen steilen Kalkwänden habe ich auf diesem Blog schon öfter geschwärmt. Die Szenerie mit ihren saftigen Alpweiden und den hellgrauen Flühen ist schlicht umwerfend.
Hier wurden in den Achtzigerjahren des letzten Jahrhunderts viele lohnende Klettertouren eröffnet. Das Duo Toni Fullin und Peter Stadler zeigte besonderes Engagment und erschloss ganze Sektoren in Eigenregie.
Einige Linien gerieten Jahrzehnte später zunehmend in Vergessenheit, andere Touren werden aber doch regelmässig wiederholt. Auch an der Selezerfluh ist es etwas ruhiger geworden, wobei die "Gandernase" mit ihrem fantastischen Fels immer noch überzeugt. Rechts davon - und ein Stockwerk tiefer - verläuft "Potentilla" über einen formschönen Pfeiler. Diesem Sektor wollten mein Bruder und ich nun endlich einen sonnigen Klettertag im Juni widmen.

Der Einstieg liegt eher rechts bei einer markanten Felskante, wo das Grasgelände wieder etwas steiler wird. Der aufgemalte Routenname ist noch schwach erkennbar. Ein weiteres Erkennungsmerkmal ist das an einer Sanduhrschlinge hängende "Geissätrychäli". Wir deponieren unsere Rucksäcke etwas weiter unten bei ein paar Felsblöcken. Gleich zum Auftakt ist die schwerste Stelle der Startseillänge zu meistern. Hohes Antreten und eine wacklige Gewichtsverlagerung erlauben das Erhaschen der zunehmend besseren Griffe. Die neuen Bohrhakenlaschen weisen dann den Weg über die vielen Querschlitze und den schön strukturierten Kalkfels hinweg. Kurz vor dem Stand ist eine vermoderte Sanduhrschlinge die letzte Sicherungsmöglichkeit. Der graue Hochgebirgskalk ist hervorragend und macht vom ersten Meter an Freude.

Die mit 5b+ kotierte Kletterei ist deutlich anspruchsvoller als erwartet. Sowohl der angegeben Schwierigkeitsgrad wie auch die Optik vom Wandfuss täuschen uns auf den ersten Blick. Der Einstiegssequenz könnte man nach heutigen Masstäben durchaus eine 6a zuschreiben. Vielleicht liegt es aber auch daran, dass man auf den ersten Metern oft noch etwas "gstabig" unterwegs ist. Gespannt sind wir daher auf die 2. Seillänge, die durch eine Rissverschneidung hochführt und mit 6a+ zu Buche steht. Zuerst muss aber mit einem fallenden Rechtsquergang ohne Sicherungsmöglichkeit dieser Riss erreicht werden. Nach dem Clippen von zwei alten Ringbohrhaken erblickt man bald wieder neuere Bohrhakenlaschen. Der Riss ist im Innern noch stellenweise feucht, lässt sich aber mit guter Spreiztechnik entspannt klettern. Kurz darauf ist auch schon der nächste Standplatz in Sicht.

Nun beginnt eine grössere Querung nach rechts hinaus, bei der man zwar meist gute Griffe vor Augen hat, aber die Füsse sehr präzise hinstellen muss. Die Schlüsselstelle ist ein kurzer Abschnitt, in dem die Griffe schlechter und das Trittangebot aus einer leicht schmierigen, senkrechten Wand besteht. Hier steckt aber ein enger Mix aus alten Ringbohrhaken und neuen Laschen, wobei der entscheidende Ring unter Grasbüscheln etwas getarnt ist. In zwei kurzen Seillängen erreicht man so ein luftiges Plätzchen direkt über einem grossen Überhang. Hier befindet sich auch ein massiver Abseilstand, von dem man in knapp 50 Meter sehr luftiger Abseilfahrt wieder zum Wandfuss gelangen kann. Der beschriebene Hangelquergang ist durchgehend sehr gut abgesichert, verlangt aber auch etwas Strom im Bizeps und ein gutes Gespür für die kraftschonendste Klettertechnik.

Die Seillänge 5 ist dann eher ein botanischer Garten als ein Kletterschmankerl. Selbst bei trockenen Bedingungen muss man sehr umsichtig die Füsse hinstellen. Der eine oder ander Tritt ins Grün lässt sich einfach nicht vermeiden. Dies gehört nun halt einfach zum alpinen Klettern, ist aber sicher für viele ein ungewohntes Terrain. Nun verzweigt sich die Route: Nach rechts zieht die Originalführe in eine liegende Verschneidung hoch, die ebenfalls sehr verwachsen aussieht. Noch weiter oben sind viele Kletterstellen nass, besonders jene Partie unter dem Wandbuch sieht extrem ungemütlich aus.

Wir sind daher dankbar, dass direkt hoch eine Ausstiegsvariante existiert, die mit gutem Fels und steilen Passagen lockt. Das veranschlagte 6a wird aber beim 3. Bohrhaken (Originalring) in freier Kletterei deutlich übertrumpft, wenn man nicht mindestens 1.80 m gross ist. Am Ausstieg - etwas zurückversetzt im Hang - lacht uns wieder ein Abseilstand an. Von hier sind wir in zwei Abseilfahrten à 50 Meter sehr rasch wieder unten beim Materialdepot.
"Potentilla" ist durchaus eine schöne Route, in der man aber viel nach rechts queren muss. Die erste und die letzte Seillänge sind sehr lohnend, der Rest hält sich im Rahmen. Die Route wurde von Toni Fullin 2006 saniert und ist sehr benutzerfreundlich abgesichert. Ob der Originalausstieg via Wandbuch (zusätzliche 4 SL) auch saniert ist, konnten wir leider nicht ermitteln. In den neueren Topos werden nur noch die 6 Längen bis zum Direktausstieg vermerkt. Folgt man der Originallinie, muss man vermutlich einen andern Abstieg oder eine Abseilpiste weiter östlich suchen. In älteren SAC-Führern ist das entsprechende Topo noch zu finden.
Besten Dank an Toni für die Sanierung und das Einrichten der schnellen Abseilpiste.

Der Tag ist noch jung. Wir wechseln daher den Sektor und queren zum Einstieg von "Altwybersommer". Dieser Klassiker folgt einer logischen Linie und bietet ein paar hübsche Kletterstellen. Dazwischen muss aber auch oft wieder über grasiges Gelände gestiegen werden. Bei einigen scharfen Richtungswechseln empfiehlt es sich, grosszügig die Sicherungen zu verlängern, sonst wird man mit brutalem Seilzug bestraft. Gar nicht so ohne Anspruch ist ein Riss in der 4. Seillänge zu klettern. Hier stecken die Haken jedoch benutzerfreundlich eng, damit man sich bei Bedarf auch hochmogeln kann.

Spannend wird es in der zweitletzten Länge, wo ein Kriechband uns auf die Knie zwingt. Gleich danach macht man Zwischenstopp an zwei soliden Bohrhaken in einer angenehm kühlen Nische. Aus dieser Nische heraus beginnt die etwas mühsame Rampferei durch einen Risskamin hoch, wo man auf den ersten Metern ungesichert unterwegs ist und seinem Sicherungspartner im Falle eines Falles direkt auf die Rübe fallen würde.

Beim ersten Bohrhaken zwingt einem dessen Platzierung direkt hoch durch den Riss zu klettern. Das ist aber gar nicht so einfach zu bewerkstelligen. Die Umgehung nach links herum verursacht wieder einen saublöden Seilverlauf. So oder so ist diese Stelle wohl die unangenehmste Passage der ganzen Tour. Ohne Problem verläuft die Abseilerei zum Wandfuss. Dort gönne ich mir noch die linksliegende Basisroute (35m / 6a) mit den schön glänzenden, neuen Bohrhaken, die ein paar schöne Kletterzüge offeriert. Besten Dank an meinen Bruder für diesen sonnigen Klettertag über der Alp Gand.