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Chlorit

Chlorit und die zwiespältige Liebe der Strahler
Ein paar Gedanken zu einem speziellen Mineral

Schweiss rinnt mir über die Stirn, findet den Weg in meine Augen und sorgt dort für ein unangenehmes Brennen. In der Brust pocht mein Herz mit hoher Kadenz, begleitet von regelmässigen Atemzügen. Schritt für Schritt, Stufe um Stufe steige ich das schmale Schneecouloir hoch. Trotz den Anstrengungen und dem steilen Aufstieg erfüllt mich eine grosse Zufriedenheit. Ich bin unterwegs zur 2965 m hoch gelegenen Nördlichen Flüelücke, die im Verbindungsgrat zwischen dem Fleckistock, 3416.5 m und dem Chüeplanggenstock, 3208 m liegt. Hinter mir sind bereits das Sustenhorn und seine Trabanten in das rötliche Licht der strahlenden Morgensonne getaucht. Ein Tag, wie man ihn sich als Strahler nur wünschen kann, erwacht zum Leben. Begleitet werde ich von meinem Bruder Kurt und unserem gemeinsamen Strahlerkollegen Sepp.

Natürlich ist auch Hipu, mein vierbeiniger Freund, seit den frühen Morgenstunden mit von der Partie. Kaum hatte ich nach einem währschaften Frühstück den Rucksack geschultert, stand er bereits schwanzwedelnd vor der Türe. Mit Hilfe seiner schwarzen, fünfzackigen „Steigeisen“, die er seit dem Welpenalter nie mehr abgelegt hat, meistert er das steile Schneefeld in erstaunlicher Manier. Angst kennt er keine, obwohl er als zweijähriger Hund auf der gegenüberliegenden Talseite beinahe hundert Meter über eine Felswand gestürzt ist. Den fatalen Flug vom Gipfel des Voralphorns hinunter auf den Flachensteinenfirn überlebte er nur Dank einer reichlich vorhandenen weichen Schneeschicht. Ein ausgeschlagener Zahn und ein Lungenriss, der rasch und vollständig verheilte, waren die einzigen Blessuren, die er damals davon trug.

Leichte Windböen setzen ein und verkünden die Nähe der ersehnten Lücke. Nach ein paar Schritten stehen wir endlich in dem markanten Einschnitt und erfreuen uns am Tiefblick ins Meiental. Hier trennt sich mein Bruder von uns. Er will am steilen Chüeplanggenstock nach verdächtigen Anzeichen suchen. Sepp hat bereits zu Beginn des Couloirs das Handtuch geworfen und durchstreift nun die Südostflanken des Fleckistocks. Die steilen, gegen den Kessel des Kartigels abfallenden Nordostwände sind dagegen mein heutiges Ziel. Im Tagesverlauf „stolpere“ ich da und dort über interessante Kluftanzeichen, vermag aber ausser ein paar kleinen Spitzen, nichts Nennenswertes ans Tageslicht zu fördern.

„Bis zu diesem verdächtigen Satz gehen wir noch, dann kehren wir um“ sage ich zu meinem Hund. Die besagte Geländestufe war mir schon in der Flüelücke aufgefallen. Als ich endlich dort bin, weiss ich auch wieso: Eine offene Kluft liegt direkt vor mir! Die Freude darüber wird aber rasch getrübt. Je tiefer ich grabe, desto grüner purzeln die Spitzen und Gruppen aus dem Chloritsand. Der Quarz ist extrem zerfressen und absolut glanzlos. Obwohl es am Aufbau und den Dimensionen der Stufen nichts zu mäkeln gibt, lege ich die Stücke wieder zurück in den Hohlraum und decke sie mit Sand zu. Schade, die Ausbeute hätte wohl für zwei oder drei Rucksäcke gereicht. Die Enttäuschung macht bald der Hoffnung Platz, die nächste Kluft möge qualitativ wohl besser sein...

Szenenwechsel: Ein paar Tage später bin auf der anderen Talseite mit einer bunt gemischten Gruppe auf Kristallexkursion. Die sanften Hänge des Brunnenstöckli sind im Laufe der letzten Jahre sehr umfangreich abgesucht worden, trotzdem findet man mit etwas Glück immer wieder eine Kluft. „Ein Sack Flöhe zu hüten, muss einfacher sein“ seufze ich beim Anblick der mittlerweile weit verzettelten Teilnehmergruppen. Ständig pendle ich hin und her. Während einem solchen Wechsel entdecke ich im Fels ein kreisrundes Loch. Da ich prinzipiell jede alte Kluft inspiziere, zieht mich auch diese magisch an. Wie vermutet ist das Loch leer. Als ich jedoch mit dem ganzen Arm hinein greife, ertaste ich einen losen Stein, der sich an der Sonne als prächtige Schwimmerstufe präsentiert. „Das gibt’s ja nicht!“ Mit dem Grübler sind rasch vier, fünf weitere Stufen geborgen. Die Stufen sind – wie wenige Tage zuvor im Kartigel – ebenfalls stark chloritisiert, verfügen aber diesmal über einen herrlichen Glanz und sind sehr ästhetisch anzusehen. Ich freue mich über diesen Fund und teile ihn mit den Exkursionsteilnehmern. Ein Stück behalte ich für meine Sammlung. Es soll mich stets an diese zwei Chloritklüfte errinnern.

Chlorit gehört wohl zu den unbeliebtesten Mineralien der Strahler. Allerdings muss man die Sache ein bisschen differenziert betrachten: Die unbeliebteste Version ist sicher der glanzlose, alles überdeckende, graufarbene Chlorit, der oft auf Rauchquarz zu finden ist. Die davon betroffenen Stufen verlieren viel an Ästhetik und werden an Mineralienbörsen meistens links liegen gelassen. Sind nur einzelne Quarzflächen mit Chlorit „bestäubt“ und weisen die restlichen Flächen einen schönen Glanz auf, sieht das ganze schon viel besser aus. Persönlich finde ich eine wasserklare Quarzstufe mit zonarem Chloritüberzug sehr reizvoll. Aus der Val Cavrein oder den Seitentälern des Maderanertals stammen typische Vertreter dieser Quarz/Chlorit-Kombination. Selbstverständlich sind neben Quarz oft auch andere Mineralien von Chlorit überzogen. Was bei Adular, Albit und Calcit noch einigermassen verkraftbar ist, schmerzt um so mehr bei begehrten Mineralien wie Titanit, Anatas oder Fluorit.

Die Einschlüsse von Chlorit in einem klaren Quarz sind dagegen besonders interessant. Oft bildet der Chlorit einen Belag über einen früher entwickelten Quarzkristall. Wächst der Quarz über diesen Belag weiter, bildet sich ein Phantomquarz. Unter Umständen sind sogar mehrere Chloritschichten (Phantombildungen) in einem Quarz erkennbar. Auf einer Schwimmerstufe mit Chloritphantom-Quarzen kann anhand der geometrischen Verteilung von Chlorit die ursprüngliche Position der Stufe in der Kluft rekonstruiert werden (mineralogisches Senkblei). Chlorit ist, wie Glimmer, ein Schichtsilikat. Es tritt sowohl massiv als auch fein gekörnt auf, kann aber auch als Kristalle, die oft in schuppigen Aggregaten vereint sind, vorkommen. Das Mineral findet sich in magmatischen Gesteinen (Granit), schwach metamorphisierten Gesteinen, den Chloritschiefern und tonigen Sedimentgesteinen.

Genau genommen ist Chlorit der Name einer ganzem Mineralgruppe der Schichtsilikate: Klinochlor, Cookeit, Chamosit, Orthochamosit und Corrensit), Was gemeinhin als Chlorit bezeichnet wird (z.B. Chloritschiefer, Chloritsand einer alpinen Zerrkluft, Chloritschicht auf Mineralien) bezieht sich fast immer auf die Mineralienart Klinochlor. In alpinen Zerrklüften ist Klinochlor (Kluftchlorit) eines der häufigsten Mineralien – oft zum Leidwesen der Strahler. Mengenmässig steht Klinochlor nach Quarz wohl an zweiter Stelle. Der sandartige Klinochlor kann als letzte Ausscheidung in der Mineralienbildung die Kluft bis zu einem bestimmten Niveau, ähnlich einer Wasserpfütze, vollständig auffüllen. Die über dem Niveau des Chloritspiegels liegende Kluftdecke weist in diesem Fall weder Chloriteinschlüsse, noch – Überzüge aus. Dies erklärt auch, warum Stufe von der Kluftdecke in der Regel qualitativ besser sind als jene vom Kluftboden. Am beliebtesten ist Chlorit wohl, wenn er als weiches „Polster“ makellose und hochglänzende Mineralienstufe vor einer Beschädigung durch tektonische Verschiebungen und Erschütterungen bewahrt und so dem glücklichen Strahler perfekte Funde ermöglicht. Chlorit sein Dank...